Eiskristalle

Einkristalle: ein Gastbeitrag von Silke Bayer

Engl. version

Schnee fasziniert. Was gibt es Schöneres, als das Glitzern von unzähligen Schneekristallen auf einer weißen Schneedecke bei blauem Himmel und Sonnenschein? Wer wünscht sich nicht eine weiße Weihnacht und verbindet damit romantisch verklärte Kindheitserinnerungen? Aber Schnee kann auch dramatische Kräfte entwickeln. Jedes Jahr fordern Lawinenunglücke hunderte von Menschenleben und verursachen hohe Sach- und Umweltschäden. Nicht umsonst zählen Lawinenunglücke zu den Naturkatastrophen. Schaut man sich Schnee genauer an, so sieht man, dass er aus unzähligen, einzigartigen, filigranen Eiskristallen besteht, von denen jeder etwas anders aussieht. Kaum zu glauben, dass diese Schönheiten gefährlich werden können. 

Dischmatal Davos

Die erste Fotografie eines Schneekristalls wird dem Naturforscher Johann Heinrich Ludwig Flögel zugeschrieben. 6 Jahre später, am 15. Januar 1885, gelingt Wilson Bentley seine erste Aufnahme. Ihn wird diese Leidenschaft nicht mehr loslassen und bis zu seinem Tod im Jahre 1931 wird er über 5000 Schneekristalle fotografieren und katalogisieren. Damit setzte er den Grundstein für die experimentelle Schneeforschung. 

Doch warum gleicht kein Schneekristall dem anderen und warum besitzen sie alle die gleiche sechseckige Grundstruktur?

Schneekristalle bestehen aus Wasser. Ein Wassermolekül besteht aus einem Sauerstoff- und 2 Wasserstoffatomen. Diese sind durch kovalente Bindungen miteinander verbunden, d.h. sie teilen sich jeweils ein Elektronenpaar. Das Sauerstoffatom zieht diese Elektronenpaare etwas stärker in seine Richtung, so dass ein Ladungsungleichgewicht entsteht.

Das Sauerstoffatom besitzt dadurch eine negative Partialladung, die Wasserstoffatome positive Partialladungen. Man spricht von einem Dipol. Es ergibt sich ein gewinkelter Bau des Wassermoleküls.  Dabei bilden die Wasserstoff-Atome und die freien Elektronenpaare des Sauerstoffatoms einen Tetraeder, in dessen Mitte sich das Sauerstoff-Atom befindet.

(3D-Model für Augmented Reality)

Zwischen mehreren Wassermolekülen kommt es durch den Dipolcharakter zur Ausbildung von Wasserstoffbrückenbindungen. Im flüssigen Zustand werden diese ständig auf- und abgebaut, es entstehen kleine, sich immer wieder neu formierende Cluster. Bei sinkender Temperatur nimmt die Bewegung der Moleküle ab und es bildet sich auf Grund des oben beschriebenen geometrischen Aufbaus der Wassermoleküle ein hexagonales Raumgitter mit stabilen Wasserstoffbrückenbindungen.  

Wassermoleküle in hexagonaler Gitteranordnung (3D-Model für Augmented Reality)

Zur Ausbildung eines solchen Eiskristallgitters werden mindestens 90 Wassermoleküle benötigt, darunter kann sich keine stabile Gitterstruktur bilden, die Moleküle oszillieren zwischen amorph und kristallin hin und her.  Dies haben Forscher der Universität Göttingen erst kürzlich herausgefunden. Für einen stabilen, schön geordneten Eiskristall bedarf es dagegen schon so um die 475 Wassermoleküle.  

3D-Model für Augmented Realit

Eiskristalle entstehen in den Wolken bei Temperaturen deutlich unter dem Gefrierpunkt. Die Wassermoleküle aus Wasserdampf binden an einen Kristallisationskeim (das kann ein Staubpartikel oder eine Polle sein) und bilden die bekannte hexagonale Gitterstruktur. 

Ohne solch einen Kristallisationskeim würde Wasser sogar noch bei einer Temperatur von -30 °C flüssig bleiben. Zunächst lagern sich neue Moleküle bevorzugt so an, dass glatte Seiten entstehen. Es bildet sich ein hexagonales Prisma mit je einer sechseckigen Grund- und Deckplatte und 6 viereckigen Seitenflächen. Dies ist die einfachste Form eines Schneekristalls. 

Je nach Umgebungsbedingungen (insbesondere Temperatur und Luftfeuchtigkeit) wächst der Schneekristall unterschiedlich weiter. Der Einfluss von Temperatur und Luftfeuchtigkeit auf die Ausformung von Eiskristallen lässt sich im sogenannten „Snow Crystal Morphology Diagram“ oder auch „Nakaya Diagram“ ablesen: 

Ice Crystal Morphology diagram, indicating the basic form of ice crystals as a function of temperature and supersaturation (humidity). For more information see Libbrecht (2005) [Credit: K. Libbrecht]

Ab einer gewissen Kristallgrösse ändert sich die Art des Wachstums. Neue Wassermoleküle lagern sich bevorzugt an den Ecken an und bilden dort Arme. Bei der Kristallisation wird Wärme abgegeben, die über die Kanten besser abgeleitet wird als über die Flächen. Somit kühlen die Ecken schneller ab als die Flächen und begünstigen dadurch weitere Anlagerungen von Wassermolekülen. Durch dieses Prozesse bilden sich die 6 Arme eines Eiskristalls und es entstehen die wunderschönen Dendriten. 

Bei Temperaturen um die -12°C verengen sich die Arme, bei -14°C bilden sich Seitenäste aus. Je feuchter und wärmer es in der Wolke ist, desto zarter und verästelter bilden sich die Arme. Aber auch hexagonale Plättchen können sich an den Armen bilden. Es gibt unzählige Möglichkeiten. 

Die einzelnen Schneekristalle wirbeln in den Wolken hin und her und durchqueren unterschiedliche Zonen von Temperatur und Luftfeuchtigkeit. Dadurch wachsen die Arme alle unterschiedlich, da kein Eiskristall exakt den selben Weg nimmt. Da aber alle 6 Arme eines Kristalles zur selben Zeit der gleichen Temperatur und Luftfeuchtigkeit ausgesetzt sind, sehen sich diese Arme sehr ähnlich. 

Mit zunehmenden Wachstum nimmt das Gewicht des Schneekristalls zu und er beginnt, zur Erde zu fallen. Auf seinem Weg durchquert er weitere unterschiedliche Wetterbedingungen und wächst weiter solange die Temperatur unter 0°C bleibt. Ein Schneekristall, der den Boden erreicht, wiegt ungefähr 10-6 g und besteht aus 100 Trillionen Wassermolekülen. Bei dieser Anzahl an Kombinationsmöglichkeiten ist es mehr als unwahrscheinlich, dass zwei natürlich entstandene Schneeflocken absolut identisch sind. 

Bleibt noch die Fragen, warum Schnee weiss ist, obwohl Eis doch eigentlich durchsichtig ist. Das liegt daran, dass sich das Licht an den unzähligen Kanten der Eiskristalle bricht und in alle möglichen Richtungen reflektiert wird. So reflektiert Schnee alle im Licht enthaltenen Farben. Die Überlagerung der reflektierten Strahlen sorgt dafür, dass der Schnee weiß erscheint.

In Gelsenkirchen habe ich nicht oft die Gelegenheit, Schneekristalle zu fotografieren. Dieses Jahr hatte ich jedoch Glück. Ich zeige Euch eine Auswahl meiner liebsten Schneekristallfotos aus Gelsenkirchen und aus der Zeit, in der ich quasi direkt neben dem Institut für Schnee- und Lawinenforschung in Davos gewohnt habe. Dafür kam ich damals leider nicht auf die Idee, ein Stativ zu benutzen. Auch muss man nicht unbedingt eine Profikamera haben, um Schneeflocken zu fotografieren. Auch mit der kleinen Panasonic sind mir ein paar gute Schnappschüsse geglückt.

Meine allererste Davoser Schneeflocke (Nikon D5100 mit Tamron 90mm f/2.8) ohne Stativ
Schneeflocke kurz vorm Schmelzen (Nikon D5100 mit Tamron 90mm f/2.8) ohne Stativ
Schneeflocken im Verbund (Nikon D5100 mit Tamron 90mm f/2.8) ohne Stativ
Schneeflocke auf dem Balkon des alten Pfarrhaus in Davos ohne Stativ (Panasonic DMC TZ71)
Finnische Schneeflocken bei einer Husky-Schlittenfahrt ohne Stativ (Panasonic DMC TZ71)
Erste Gelsenkirchener Schneeflocke mit Stativ (OMD-D E-M5 MII mit Olympus 60mm f/2.8)
Nicht alle schaffen es unversehrt (OMD-D E-M5 MII mit Olympus 60mm f/2.8)
Mehrere verhakte Eiskristalle bilden Schneeflocken (OMD-D E-M5 MII mit Olympus 60mm f/2.8)
Mein Lieblingsschneekristall vom Winter 2020/2021 (OMD-D E-M5 MII mit Olympus 60mm f/2.8)

Ice – Monocrystals: A Guest Article by SILKE BAYER (Engl. version)

Snow fascinates. What could be more beautiful than the glitter of countless snow crystals on a white blanket of snow under a blue sky and sunshine? Who doesn’t wish for a white Christmas and associate it with romanticized childhood memories? But snow can also develop dramatic forces. Every year, avalanche accidents claim hundreds of lives and cause high property and environmental damage. Not for nothing do avalanche accidents count as natural disasters. If you take a closer look at snow, you will see that it consists of countless, unique, filigree ice crystals, each of which looks slightly different. It’s hard to believe that these beauties can become dangerous.

The first photograph of a snow crystal is attributed to the naturalist Johann Heinrich Ludwig Flögel. 6 years later, on January 15, 1885, Wilson Bentley succeeds in taking his first photograph. He will never let go of this passion and until his death in 1931 he will photograph and catalog more than 5000 snow crystals. He thus laid the foundation for experimental snow research.

But why is it that no two snow crystals are alike and why do they all have the same basic hexagonal structure?

Snow crystals are made of water. A water molecule consists of one oxygen and 2 hydrogen atoms. These are connected by covalent bonds, i.e. they share one electron pair each. The oxygen atom pulls these electron pairs somewhat more strongly in its direction, so that a charge imbalance occurs.

The oxygen atom thus has a negative partial charge, the hydrogen atoms positive partial charges. This is referred to as a dipole. This results in an angled structure of the water molecule. The hydrogen atoms and the free electron pairs of the oxygen atom form a tetrahedron, in the middle of which is the oxygen atom.

Due to the dipole character, hydrogen bonds are formed between several water molecules. In the liquid state, these are constantly built up and broken down, and small, constantly reforming clusters are formed. As the temperature drops, the movement of the molecules decreases and, due to the geometric structure of the water molecules described above, a hexagonal spatial lattice with stable hydrogen bonds is formed.

To form such an ice crystal lattice, at least 90 water molecules are needed; below that, no stable lattice structure can form, the molecules oscillate back and forth between amorphous and crystalline. This was recently discovered by researchers at the University of Göttingen. A stable, well-ordered ice crystal, on the other hand, requires around 475 water molecules.

Ice crystals form in clouds at temperatures well below freezing. The water molecules from water vapor bind to a crystallization nucleus (this can be a dust particle or a pellet) and form the well-known hexagonal lattice structure.

Without such a crystallization nucleus, water would remain liquid even at a temperature of -30°C. Initially, new molecules preferentially attach themselves in such a way that smooth sides are formed. A hexagonal prism is formed, each with a hexagonal base and top plate and 6 quadrangular sides. This is the simplest form of a snow crystal.

Depending on the environmental conditions (especially temperature and humidity), the snow crystal continues to grow differently. The influence of temperature and humidity on the formation of ice crystals can be seen in the so-called „Snow Crystal Morphology Diagram“ or „Nakaya Diagram“:

Ice Crystal Morphology diagram, indicating the basic form of ice crystals as a function of temperature and supersaturation (humidity). For more information see Libbrecht (2005)[Credit: K. Libbrecht]

Above a certain crystal size, the type of growth changes. New water molecules preferentially accumulate at the corners and form arms there. During crystallization, heat is released, which is dissipated better via the edges than via the faces. Thus, the corners cool down faster than the surfaces and thus favor further accumulation of water molecules. Through this process the 6 arms of an ice crystal are formed and the beautiful dendrites are formed.

At temperatures around -12°C the arms narrow, at -14°C side branches form. The more humid and warmer it is in the cloud, the more delicate and branched the arms form. But hexagonal platelets can also form on the arms. There are countless possibilities.

The individual snow crystals swirl back and forth in the clouds, passing through different zones of temperature and humidity. As a result, the arms all grow differently, since no two ice crystals take exactly the same path. However, since all 6 arms of a crystal are exposed to the same temperature and humidity at the same time, these arms look very similar.

As the snow crystal grows, its weight increases and it begins to fall to the earth. On its way, it passes through more different weather conditions and continues to grow as long as the temperature remains below 0°C. A snow crystal that reaches the ground weighs about 10-6 g and consists of 100 trillion water molecules. With this number of possible combinations, it is more than unlikely that two naturally formed snowflakes will be absolutely identical.

The question remains, why snow is white, although ice is actually transparent. This is due to the fact that light is refracted at the countless edges of the ice crystals and reflected in all possible directions. In this way, snow reflects all the colors contained in the light. The superposition of the reflected rays makes the snow appear white.

In Gelsenkirchen, I don’t often have the opportunity to photograph snow crystals. This year, however, I was lucky. I show you a selection of my favorite snow crystal photos from Gelsenkirchen and from the time when I lived quasi right next to the Institute for Snow and Avalanche Research in Davos. Unfortunately, I didn’t have the idea to use a tripod for that at that time. Also, you don’t necessarily have to have a professional camera to photograph snowflakes. I also managed a few good snapshots with the small Panasonic.