Die Entdeckung der Langsamkeit

Die Entdeckung der Langsamkeit (bzw. nicht das Ende einer Reise) Ein weiterer Gastbeitrag von Axel Schneegass aus Leipzig.

Engl Version below.

Wenn mich jemand fragt, warum ich analog fotografiere, dann sind Reduktion und Entschleunigung wesentliche Punkte meiner Antwort. Wer kennt nicht das Gefühl des Unbehagens, sich an den Auswahlprozess mehrerer hundert Bilder setzen zu müssen? Welche eigene Wertschätzung stellt sich hinsichtlich des eigenen Bildes ein, wenn Fotos und Nachbearbeitung in Fließbandarbeit ausarten? Und warum stellt man hinsichtlich seines selbstgewählten „Hobbys“ nicht konsequent ab, was einem selbst ein Dorn im Auge ist? So bzw. so ungefähr bin ich zur analogen Fotografie gekommen und habe mich ihr nahezu vollständig hingegeben. Konsequenter Schlusspunkt war der Verkauf meiner kompletten Digitalausrüstung Mitte diesen Jahres.

Um mich kurz zu fassen… ja, ich liebe den analogen Blur, ich sehe Motive schwarz/weiß und meine fotografischen Leitbilder sind allesamt Meister der Dunkelkammer. Aber meine Befriedigung durch die analoge Fotografie hat einen weit darüber hinaus gehenden Grund. Die geringe Anzahl an Bildern aus einem Shooting (in der Regel sind es nie mehr als 4 Rollfilme a 10 Bilder), das Anfertigen der Kontaktprints, die Auswahl von Bildern für die Dunkelkammer mit der Lupe und erste Notizen zu Ausschnitt und Bearbeitung, das Anfertigen von Probestreifen und Testprints, finale Korrektur und Dokumentation zur Sicherstellung wiederholbarer Ergebnisse…. all das führt zu einer intensiven Beziehung zu jedem einzelnen Bild, auch denen, die es in der ersten Auswahl nicht zu einem fertigen Print schaffen. Hierdurch steigt der ideelle Wert des Geschaffenen und damit auch die eigene Befriedigung durch den Prozess. Ich bin für meinen Teil fest davon überzeugt, dass diese Liebe, das Vertrauen auf das eigene Gefühl und das Entfernen prozessualer Störfaktoren auch einen Einfluss auf meine Bilder hat, den nicht nur ich positiv wahrnehme.

Ich möchte damit weniger Werbung für analoge Fotografie machen als vielmehr den Grund meiner Vorfreude und Aufregung erklären, als Sven mir im vergangenen Jahr auf dem aj 2019 einen Pappkarton mit den Worten „viel Spaß“ in die Hand drückte. Der Inhalt? Eine Horseman L45Pro 4×5‘‘ Großformatkamera, bestehend aus zwei frei schwenkbaren Standarten, Führungsschiene, Mattscheibe, Balgen und Objektivplatte. Wenn es mir bei der Fotografie um Entschleunigung geht, dann muss die analoge Großformatfotografie zwangsläufig dem Ende des Weges zumindest sehr nahe sein. Warum? Verschießt auch eine analoge Canon EOS 1N einen 36er Kleinbildfilm in ca. 6sek, „schafft man“, so man denn möchte, einen 120er Rollfilm auch gern mal in 1-2 min, wenn der Flow passt – im Großformat ist es etwas anders… angefangen damit, dass Fotos aus der Hand nahezu ausgeschlossen sind, muss jedes Shooting zudem gut vorbereitet sein. Die einzelnen Filmsheets müssen in der Dunkelkammer in Planfilmkassetten geladen werden, zwei Sheets je Kassette. Sorgfalt ist hier das a und o. Welche Kassette enthält welchen Film und welche Seite war doch gleich schon belichtet? Jeder Fehler kann hier bereits einen Totalverlust bedeuten, beim Belichten ebenso wie im Labor. Nehmen wir an, die Kamera steht, das Modell ist an Ort und Stelle… es hat etwas Magisches, das Objektiv zu öffnen und unter den Vorhang zu schlüpfen, den Ausschnitt auf der gespiegelten Mattscheibe zu prüfen und mit der Bildschirmlupe scharfzustellen… jetzt bloß nicht vergessen, die Standarte festzustellen, sonst verrutscht der Fokus beim Einschieben der Planfilmkassette. Dann die Blende auf Arbeitsblende stellen, Objektiv spannen, Verschluss schließen, Schieber aus der Kassette und erst ab dann ist man bereit, für das Foto. Geübte Fotografen schaffen es sicher auch so auf mehr als 1 Bild pro Minute, ohne die entsprechende Routine kann man sich aber allein im Ablauf der erforderlichen Handlungen glücklich schätzen, wenn man unter 1 min „schussbereit“ ist.

Ich nehme es vorweg, auch wenn die Vorstellung eines quasi 100 Megapixel Wechselsensor, freiem tilt/shift und die schiere Größe der Negative extrem reizvoll sind, so bin ich zumindest hinsichtlich der Portraitfotografie nie wirklich warm mit „ihr“ geworden… Mag sein, dass es die Aufregung bzw. mangelnde Routine ist, mag sein, dass es der monströse Aufbau ist, der eine künstliche Atmosphäre schafft (neben Stativ und Aufbau braucht man vor allem viel Licht, da die Blende aufgrund arg verringerter Schärfentiefe meist deutlich geschlossener ist, als bei Mittelformat oder Kleinbildfotografie) oder doch der insgesamt extrem statische Prozess. Ich liebe es, im Flow eines Shootings Vorhaben über Bord zu werfen, mich dem Moment hinzugeben und zu improvisieren – nahezu ein Ding der Unmöglichkeit mit diesem Ungetüm von Kamera. Darüber hinaus habe ich es trotz regelmäßigen Einsatzes nicht geschafft, eine Routine aufzubauen, in der ich entweder nicht nervös bin, oder Fehler mache, die zum Verlust von Bildmaterial führen – das Herausziehen des Schiebers aus der Planfilmkassette bei geöffneter Blende ist ein Klassiker, die Verwechslung von Kassetten unterschiedlicher Entwicklungsprozesse in der Dunkelkammer ein anderer… #seufz

Und doch liebe ich das Fotografieren mit der Horseman… zuletzt hatte ich den Koffer mehrfach für Landschaftsaufnahmen ausgepackt, Schatten und Lichter nach dem Zonensystem vermessen, die Kamera ausgerichtet, eingestellt, geprüft und auf das perfekte Licht gewartet – ein Traum, nicht nur für diesen Moment, sondern auch in der Dunkelkammer und jetzt als Print an der Wand. Wer meint, dass all dies für ein Landschaftsbild zu viel Aufwand sei, dem empfehle ich die Websuche nach „Lindsey Ross: A less Convenient Path“ bei einem Glas Wein oder einer Tasse Tee.

Eine Frage stellt sich mir nun aber doch erneut, muss ich mir zur Digitalisierung der zwangsläufig größer werdenden Prints für den Verkauf nun doch wieder eine Digitalkamera zulegen?

The discovery of slowness (or not the end of a journey)

When someone asks me why I photograph analog, reduction and Deceleration are essential points of my answer. Who doesn’t know the feeling of discomfort of having to sit down to the selection process of several hundred images? What kind of appreciation is there for one’s own image when photos and post-processing degenerate into assembly-line work? And why doesn’t one consistently put aside what is a thorn in one’s own side with regard to one’s self-chosen „hobby“? That’s more or less how I came to analog photography and gave myself up to it almost completely. The consequent final point was the sale of my complete digital equipment in the middle of this year.

To be brief… yes, I love analog blur, I see subjects in black and white, and my photographic guides are all masters of the darkroom. But my satisfaction from analog photography has a reason far beyond that. The small number of images from a shoot (usually there are never more than 4 roll films of 10 images each), making the contact prints, selecting images for the darkroom with a magnifying glass and making initial notes on cropping and processing, making test strips and test prints, final correction and documentation to ensure repeatable results…. all of this leads to an intense relationship with each individual image, even those that don’t make it to a finished print in the initial selection. This increases the sentimental value of what is created, and with it, one’s own satisfaction through the process. For my part, I am firmly convinced that this love, the trust in one’s own feeling and the removal of process-related disturbing factors also has an influence on my pictures that not only I perceive positively.

This is not so much to advertise analog photography as to explain the reason for my anticipation and excitement when Sven handed me a cardboard box with the words „have fun“ at aj 2019 last year. The contents? A Horseman L45Pro 4×5“ large format camera, consisting of two free swiveling standards, guide rail, focusing screen, bellows and lens plate. If I’m all about deceleration in photography, then large format analog photography is bound to be at least very close to the end of the road. Why? If an analog Canon EOS 1N shoots a 36mm 35mm film in about 6 seconds, you can shoot a 120mm roll film in 1-2 minutes if the flow is right – in large format it’s a bit different… starting with the fact that handheld photos are almost impossible, every shooting has to be well prepared. The individual film sheets have to be loaded into film cassettes in the darkroom, two sheets per cassette. Care is essential here. Which cassette contains which film and which side was already exposed? Any mistake here can already mean a total loss, during exposure as well as in the lab. Let’s assume that the camera is in place, the model is in place… there is something magical about opening the lens and slipping under the curtain, checking the section on the mirrored screen and focusing with the screen magnifier… now don’t forget to fix the standard, otherwise the focus will slip when the sheet film cassette is inserted. Then set the aperture to working aperture, cock the lens, close the shutter, slide out the cassette, and only then are you ready to take the picture. Experienced photographers will certainly manage to take more than 1 picture per minute, but without the appropriate routine, you can consider yourself lucky if you are „ready to shoot“ in less than 1 minute.

I’ll say it in advance, even though the idea of an about 100 megapixel interchangeable sensor, free tilt/shift and the sheer size of the negatives are extremely appealing, I never really warmed up to „her“, at least with regard to portrait photography… It may be that it’s the excitement or lack of routine. It may be that it’s the monstrous setup that creates an artificial atmosphere (in addition to the tripod and setup, you need a lot of light, since the aperture is usually much more closed than in medium format or 35mm photography due to the greatly reduced depth of field) or the overall extremely static process. I love to throw plans overboard in the flow of a shoot, surrender to the moment and improvise – almost an impossibility with this monster of a camera. Furthermore, despite regular use, I haven’t managed to build up a routine where I’m either not nervous or make mistakes that result in the loss of footage – pulling the slider out of the sheet film cassette with the aperture open is one classic, mixing up cassettes of different developing processes in the darkroom is another… #sigh

And yet I love photographing with the Horseman… most recently I had unpacked the case several times for landscape shots, measured shadows and highlights according to the zone system, aligned the camera, adjusted it, checked it and waited for the perfect light – a dream, not only for this moment, but also in the darkroom and now as a print on the wall. For those who think all this is too much effort for a landscape painting, I recommend a web search for „Lindsey Ross: A Less Convenient Path“ over a glass of wine or cup of tea.

But now I have another question: Do I have to buy a digital camera again to digitize the growing size of the prints for sale?

2 Kommentare zu „Die Entdeckung der Langsamkeit

  1. Hallo Axel,
    es gefällt mir wie konsequent du deinen Weg gehst, weg von allem was der Mainstream verlangt, hin zu dem was dich ausmacht. In der heutigen Zeit ein Anspruch den es gilt zu verfolgen.
    Peter
    München

    1. Hallo Peter, danke Dir für Deine Worte. Und ja, das ist der Punkt. Analog zu fotografieren hilft mir, mich frei von allen Ansprüchen anderer und so gesehen auch vom Mainstream zu machen. Und je mehr „Ich“ in den Bildern steckt, umso mehr befriedigt mich die Fotografie. LG nach München und hoffentlich bis bald in persona.

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